Razzia zum Frühstück
20. May 2020

Interview mit Dr. Rita Pikó und Dr. Laurenz Uhl, veröffentlicht im Portfolio 2020/1 der Therefore GmbH

 

Noch vor 20 Jahren beschäftigte sich kaum ein Unternehmen mit Compliance. Heute kommen selbst kleine Firmen nicht um das Thema herum. Ein Grund, warum Rita Pikó und Laurenz Uhl vier Jahre nach Gründung ihrer Anwaltskanzlei alle Hände voll zu tun haben. Der neue Internetauftritt tut sein Übriges.

Rita Pikó und Laurenz Uhl sind die Köpfe der Anwaltskanzlei Pikó Uhl im Zürcher Kreis 7 und hochspezialisiert auf die Themen Corporate Compliance und Internal Investigations. Da liegt ein Treffen im Restaurant «Razzia» nicht nur geografisch nahe. Wir sprechen mit ihnen über unliebsame Ermittlungen, Unvoreingenommenheit und #MeToo.

Frau Pikó, Herr Uhl, finden Sie unsere Interview-Location auch so passend wie wir?
Pikó: Sie hätten tatsächlich keinen passenderen Ort auswählen können. Sicher, bei Razzia denkt man direkt an Polizisten und Staatsanwälte, die ein Gebäude stürmen, so wie im Film. Doch man kann den Begriff auch etwas weiter interpretieren. Erst kürzlich haben wir mit einem Unternehmen zusammengearbeitet, das im Rahmen einer internen Untersuchung die E-Mail-Kommunikation analysiert hat. Das geschieht mit einer Software, die – je nach Untersuchung – nach bestimmten Begriffen fahndet, zum Beispiel nach Codewörtern. Das Unternehmen nannte diese Untersuchung immer «Razzia».
Uhl: Eigentlich ist es ja unser Job, genau das zu vermeiden. Eine Razzia, also eine behördliche Ermittlung, ist der Supergau für jedes Unternehmen. Mit einer internen Untersuchung kann man den Behörden – sofern sie von dem Fall bereits Kenntnis haben oder später bekommen – signalisieren: Wir arbeiten das Thema auf und sind bereit, eng mit den staatlichen Ermittlungsbehörden zu kooperieren.

Wozu braucht es bei einer solchen internen Untersuchung Externe?
Pikó: Ein Unternehmen kann eine Untersuchung natürlich auch selbst durchführen. Dann braucht es aber geschulte und erfahrene Mitarbeitende. Einige grosse, internationale Konzerne haben solche Compliance-Abteilungen. Doch auch diese können von externen Beratern profitieren. Vor allem wenn die Geschäftsführung oder der Verwaltungsrat involviert sind, ist es sinnvoll, Externe ein- zubeziehen, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Auch bei schwierigen Fällen von sexueller Diskriminierung kann eine neutrale Person von aussen hilfreich sein.
Uhl: Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist auch die Aussenwirkung. Ziehen Sie einen unabhängigen Anwalt hinzu, vermitteln Sie: Wir nehmen das Thema ernst. Wir sind an einer umfassenden Aufklärung interessiert und wollen nichts unter den Teppich kehren. Pikó: Im besten Fall führt man die Untersuchung als externer Anwalt gemeinsam mit der Compliance-Person aus dem Unternehmen durch. Denn diese kennt die internen Prozesse genau. Und wir ergänzen dieses Wissen mit unserem Know-how und unserer neutralen Position.

Was ändert sich nach einer solchen Untersuchung? Gibt es festgelegte Sanktionen für
die Täter? Und was wird in der Regel aus den Opfern?

Pikó: Welche Konsequenzen gezogen werden, entscheidet das Management. Und zwar aufgrund unseres Berichts, unserer Aufarbeitung. Das kann von einer Abmahnung über eine Anzeige bis zur Entlassung alles sein. Wichtiger ist letztendlich das, was wir Remediation nennen. Nämlich, was lernt man aus dem Untersuchungsbericht? Welche Schlüsse zieht das Unternehmen und welche Massnahmen leitet es ein, um das Risiko zu minimieren, dass sich so etwas wiederholt. Bei diesem Prozess unterstützen wir das Unternehmen. Hier fängt der kreative Part unserer Arbeit an.
Uhl: Und hier liegt auch die Chance einer internen Untersuchung. Sie führt zu positiven Veränderungen im Unternehmen und wirkt präventiv. Und darin steckt auch eine Botschaft an die Mitarbeitenden: Wir nehmen die Sache ernst und sorgen dafür, dass so etwas nicht wieder vorkommt.

Gibt es auch missbräuchliche Vorwürfe? Im Sinne von: Wenn ich nicht befördert werde, sage ich eben, du hättest mich angefasst.
Uhl: Für mich wird diese Frage völlig überbewertet. Es gibt erste Studien, die besagen: Ja, diesen Missbrauch gibt es, genauso wie es die Compliance-Vorfälle gibt, aber der Missbrauch bewegt sich im tiefen Prozentbereich. Wenn ich Gründe gegen die Einführung einer Compliance suche, dann ist das keiner. Man hat wahnsinnige Angst vor diesem Denunziantentum, aber in der Realität fällt das schlicht nicht ins Gewicht. Das ist auch eine Frage der Unternehmenskultur. Ausserdem kann man dem einfach entgegenwirken, indem man klar sagt: Wer missbräuchlich meldet, muss mit scharfen Sanktionen rechnen.

Sprechen wir über #MeToo. Hat diese Debatte dem Thema Compliance zu einer stärkeren Aufmerksamkeit verholfen?
Uhl: #MeToo hat das Thema in den Mittelpunkt gerückt – und zwar in allen Branchen, nicht nur in der Unterhaltungsindustrie. Man kann das Thema einfach nicht mehr ignorieren. Und die Debatte hat natürlich Betroffene bestärkt, sich auch zu äussern und zu fragen: Was macht denn meine Organisation in der Hinsicht? Statistiken zeigen, dass jede dritte Frau in ihrem Berufsleben sexuell belästigt wird. Es ist aus meiner Sicht eine längst überfällige und notwendige Bewegung.
Pikó: Ein wesentlicher Anteil der internen Untersuchungen sind mittlerweile sexuelle Diskriminierungsfälle. Viele Unternehmen nehmen das Thema sehr ernst, auch aus wirtschaftlichen Gründen. Denn bei den öffentlich gewordenen Fällen kann man die Verbindung zu den finanziellen Auswirkungen direkt sehen. Eine US-amerikanische Film-
produktion, zum Beispiel, hat mittlerweile Insolvenz angemeldet. Oder im Fall eines amerikanischen Nachrichtensenders haben wesentliche Kunden nach Bekanntwerden eines Diskriminierungsfalls ihre Werbeaufträge zurückgezogen. Dieses Thema hat nicht nur einen gesellschaftlichen, sondern einen ganz konkreten wirtschaftlichen Faktor.
Uhl: Hinzu kommen die Langzeitschäden. Heute sprechen wir ständig von Fachkräftemangel. Die Unternehmen müssen sich massiv anstrengen, um gute Mitarbeitende zu finden. Und diese interessieren sich eben nicht nur fürs Finanzielle, sondern auch für das Arbeitsklima.
Pikó: Heute identifiziert man sich ja auch mit seinem Arbeitgeber. Man fragt sich, entspricht das Unternehmen, bei dem ich arbeite, meinem Wertegefüge? Und werden diese Werte auch von meinem Unternehmen gelebt? Oder stehen sie nur auf dem Papier? Hier setzt die wertebasierten Compliance, wie wir sie verstehen, an.

Korruption, Preisabsprachen, sexuelle Diskriminierung: Die Themen, mit denen Sie sich beschäftigen sind nicht gerade positiv. Wie gehen Sie damit um?
Uhl: Es gibt diesen etwas polemischen Satz: Anwälte haben gern Kunden, die «rich, guilty
und scared» sind. Jetzt können Sie Compliance natürlich so verkaufen, dass Sie Unternehmen die Risiken aufzeigen, wenn sie auf Compliance verzichten. Unser Ansatz ist ein anderer. Ein positiver. Wir sagen: Compliance ist immer Mittel zum Zweck. Die Kunden investieren viel Geld in ihren Verkauf, in die Produkteentwicklung, in die Forschung und neue Märkte. Compliance schützt diese Investitionen. Compliance ist kein notwendiges Übel. Es ist wie mit der Datensicherheit. Sie gehört einfach dazu.
Pikó: Uns ist ganz wichtig, dass dieser positive Ansatz auch durch unseren neuen Internetauftritt transportiert wird. Denn genau das stellt uns auch heraus.

Mit welchen Argumenten können Sie als Boutique-Kanzlei punkten?
Uhl: Ein schlagendes Argument ist sicher unsere hohe Spezialisierung. Wir bieten grundsätzlich nur Corporate Governance, Compliance und Internal Investigations an und nicht zusätzlich noch Erb- oder Steuerrecht. Wir fokussieren uns darauf, wir machen das täglich und stehen daher absolut im Thema. Dies macht uns auch unabhängig. Hinzu kommt: Zusammen haben wir über 45 Jahre Erfahrung – spezifische und internationale Erfahrung aus Top-Kanzleien. Und der dritte Vorteil bei dieser kleinen Kanzleigrösse ist unsere Effizienz. Wir sind immer ansprechbar, beraten den Kunden direkt und selbst.

Sie führen die Kanzlei zusammen. Wenn Sie ein Mandat erhalten, nach welchen Kriterien entscheiden Sie, wer von Ihnen es übernimmt? Haben Sie eine Art Aufgabenteilung?
Uhl: Eine festgelegte Aufgabenteilung gibt es bei uns nicht. Ich liebe Mandate, die komplex und rechtlich schwierig sind. Auf die stürze ich mich. Frau Pikó steckt fachlich extrem gut im Thema, da sie auch Compliance unterrichtet. Sie berät unsere Kunden sehr fundiert und übernimmt gerne organisatorisch anspruchsvolle Mandate.
Pikó: Manchmal sind wir auch beide involviert. Gerade bei Mandaten, in denen es um sexuelle Diskriminierung geht, ist es wichtig, Mann und Frau vor Ort zu haben. Meist führe ich dann die Befragung und wenn ich merke, die Person kann sich mir nicht wirklich öffnen, haben wir die Chance zu wechseln.

Warum haben Sie sich überhaupt auf Corporate Compliance spezialisiert? Wie kam es dazu?
Pikó: Ich kam zu diesem Thema wirklich per Zufall. Damals war ich in einem börsenkotierten Unternehmen in Deutschland als Gesellschaftsrechtlerin tätig. Dieses Unternehmen war auch in New York gelistet und musste aufgrund der Stock-Exchange-Rules Compliance einführen. Und es gab niemanden, der sich damit auskannte. Also hat die Geschäftsleitung kurzerhand entschlossen: Frau Pikó, Sie machen jetzt Compliance. Das war 2002, damals gab es kaum jemanden, der sich damit auskannte. Also habe ich mir das selbst erarbeitet.

Und Sie sind dem Thema treu geblieben. Warum? Was ist so spannend an Compliance?
Pikó: Das Thema ist natürlich ausserordentlich spannend. Compliance ist ein People Business. Neben den rechtlichen Aspekten müssen Sie auch Interviewtechniken beherrschen, organisatorisches Talent haben und psychologisches Know-how. Die hohe Kunst bei internen Untersuchungen ist, möglichst unvoreingenommen an die Sache heranzugehen. Das heisst, auch wenn der Sachverhalt klar erscheint, nicht nur Belastendes zu suchen, sondern auch Entlastendes. Ganz oft stellt sich heraus, dass es ganz anders ist, als der erste Blick vermuten lässt. Doch der entscheidende Punkt, warum ich der Compliance treu geblieben bin, ist, dass das Thema meinen Vorstellungen von einer idealen Welt entspricht.
Uhl: Das ist sicher ganz zentral. Wir machen Compliance, weil das unsere Werte spiegelt. Uns ist ein respektvolles, werteorientiertes Handeln wichtig, privat genauso wie beruflich. Durch die Arbeit und unsere Beratung können wir dazu beitragen.

Pikó Uhl
Pikó Uhl unterstützt Unternehmen, mit einer guten Corporate Governance die Unternehmenswerte zu festigen und auf allen Ebenen umsetzbar zu machen. Dafür werden Ziele festgelegt, Prozesse analysiert und ein durchdachtes Compliance-Management-System
eingeführt. Zudem führt Pikó Uhl interne Untersuchungen durch. Das betrifft Korruptionsvorwürfe genauso wie Mobbing, Diskriminierung oder sexuelle Belästigung.

Dr. Rita Pikó
Dr. Rita Pikó ist voller Energie. Diese steckt sie als Anwältin, Gründungsmitglied und Partnerin ihrer eigenen Kanzlei in die Beratung ihrer Mandanten. Als Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) bildet sie fähige Compliance-Fachkräfte aus. Als ständige Referentin des Exzellenzprogramms für Aufsichtsräte schult sie zudem seit zehn Jahren in Compliance an der Frankfurt School of Management & Finance.

Dr. Laurenz Uhl
Dr. Laurenz Uhl denkt gerne strukturiert. Und er sucht die Herausforderung komplexer Ausgangslagen. Denn da kann er seine langjährige Erfahrung aus einer internationalen Grosskanzlei am besten einsetzen.

 

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