Kein Whistleblowing ohne Speak Up-Kultur
KMU, internationale Grossunternehmen und nicht-profitorientierte Organisationen (NPOs) sind derzeit gefordert, Whistleblowingsysteme zu etablieren bzw. auszubauen. Treiber dieser Entwicklung ist zum einen die im Jahr 2019 in Kraft getretene EU-Hinweisgeberschutz-Richtlinie – bzw. deren laufende Umsetzung in das entsprechende nationale Recht. Zudem wächst die Erkenntnis bei Unternehmen wie Stakeholdern, dass Hinweisgebersysteme zu den notwendigen Elementen einer zeitgemässen Compliance Organisation zählen.
Weitere Informationen zu Hinweisgebersystemen:
Unternehmen und Organisationen sind somit gefordert, organisatorische, prozessuale und systemische Anstrengungen auf sich zu nehmen, um ein angemessenes Hinweisgebersystem zu etablieren. Das kostet entsprechendes Geld – sowohl einmalig bei der Einrichtung des Systems, also auch laufend beim Betrieb des Systems.
Leider zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass trotz grossem – auch finanziellem – Aufwand keine oder fast keine Meldungen zu Fehlverhalten über das Hinweisgebersystem bei dem Unternehmen eingehen. Und das trotz professioneller Kommunikation und Schulung der Mitarbeitenden.
Die Ursache für das Fehlen von Meldungen ist dabei meist nicht das Fehlen von Compliance Verstössen. Es liegt vielmehr daran, dass im Unternehmen eine Kultur des Schweigens statt eine Speak Up-Kultur herrscht.
Der Grund für diese Schweigekultur liegt insbesondere in der fehlenden psychologischen Sicherheit am Arbeitsplatz. Mitarbeitende trauen sich nicht, sich zu äussern – weder gegenüber ihrer vorgesetzten Person, ihren Kolleginnen und Kollegen, noch über ein Hinweisgebersystem. Sie haben Angst vor den zwischenmenschlichen Risiken, die sie durch eine solche Äusserung eingehen. So haben sie insbesondere Angst vor Repressalien durch die Organisation, die vorgesetzte Person oder die anderen Mitarbeitenden. Oder sie befürchten, die Beziehung zu den Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz nachhaltig zu schädigen. Oft wird auch befürchtet, dass nicht zugehört wird – oder dass nichts unternommen wird.
Damit Unternehmen und Organisationen von ihrer Investition in ein Hinweisgebersystem profitieren können, müssen sie eine Speak Up-Kultur etablieren. Dazu müssen sie für einen psychologisch sicheren Arbeitsplatz sorgen. Wesentliche Schritte dafür sind das refraiming des Speak Up von einem negativen zu einem positiven Bild, das Aktivieren des Speak Up durch das aktive Einladen dazu sowie das Wertschätzen des erfolgten Speak Up.
Im Artikel von Dr. Laurenz Uhl, veröffentlich in Recht relevant für Compliance Officer 3/2022, werden diese Aspekte näher beschrieben.